Via Podiensis | 700 km zu Fuß durch Frankreich

Oh, die Via Podiensis. Wir zwei haben was Besonderes. Vor allem, weil es, mit nahezu null Vorerfahrung, meine erste Weitwanderung war. Rückblickend bin ich immer noch baff, was mir den starken Drang gab, meine Semesterferien mit einer einmonatigen Wanderung durch Frankreich verbringen zu wollen. Alleine. 2016 war ich weder sehr spirituell (und zumindest war der gewählte Weg eine der vier historischen Pilgerrouten durch Frankreich!), noch war ich ein großer Outdoor-Mensch oder bin viel alleine auf Reise gegangen. Was auch immer mich geritten hat, ich konnte es kaum erwarten loszugehen und zu entdecken, was der Weg für mich bereithielt.

Was hier folgt ist kein klassisches Wandertagebuch (dazu bin ich leider viel zu inkonsequent), sondern vielmehr ein kleiner Ratgeber zu den logistischen Fragen des Pilgerweges.

Ausgehend von der bezaubernden Stadt Le-Puy-en-Velay führt die Wegstrecke durch das südliche Zentralmassiv nach St. Jean-Pied-de-Port am Rande der Pyrenäen, wo die französische Hälfte der Pilgerreise endet. Wenn man bis dahin noch nicht genug hatte, kann man von hier auf dem berühmt-berüchtigten Camino Frances weiterlaufen, der bis nach Santiago de Compostela führt.

Länge:751 km (466 mi)
Land:Frankreich
Start:Le-Puy-en-Valey
Ende:St. Jean-Pied-de-Port
Saison:April bis September
Und ich bin… im März gestartet! Schnee inklusive.

Safety first!

Meine Vorbereitungen für die Wanderungen bestanden hauptsächlich in dem Aufsaugen jeglicher Informationen des Rother Wanderführers, den ich mir im Vorfeld zugelegt hatte. Körperlich bereitete ich mich nicht speziell auf die Wanderung vor, hatte jedoch eine solide Grundfitness, auf welche ich zählte. Zusätzlich zu meiner Ausrüstung (an der ich heute so einiges ändern würde) bestellte ich mir noch einen französischen Pilgerausweis im Internet und plante meine Anreise nach Le-Puy. Mit den ersten Etappen machte ich mich durch den Führer zwar vertraut, plante aber nicht weiter akribisch an einem Zeitplan für die gesamte Wanderung. Für die ersten zwei Nächte habe ich online Betten in Herbergen reserviert. Das stellte sich rückblickend als unnötig heraus, da ich mit meinem Start Ende März eine der ersten Wander*innen der Saison war. Trotzdem beruhigte es die Nerven etwas, Sicherheit für die ersten Tage zu haben. Wenn ich eins auf meinen folgenden Wanderungen gelernt habe ist es: Nicht mit zu viel Planung verrückt machen. Oder besser: Habe einen Plan und sei bereit ihn dann über Bord zu werfen!

„Ganz alleine? Als Frau? Hast du nicht Angst?!1!?!“ Oh, eines meiner absoluten Lieblingsthemen. Ich bezweifele, dass Männer sich zu dieser Frage genauso oft rechtfertigen müssen wie Frauen. Es gab keine einzige Situation auf der Via Podiensis, in der ich um meine Sicherheit besorgt war. Warum auch? Wenn ich irgendwo alarmiert bin, dann sind es wohl eher abgelegene Gegenden in der Stadt, in denen mir um drei Uhr nachts eine Gruppe alkoholisierter Gestalten auf dem Heimweg entgegen torkelt. Man sollte sich immer mit einem gesunden Menschenverstand in der Welt bewegen – das gilt auf dem Wanderweg genauso wie im Alltag.

Vom Terrain her ist die Via Podiensis ein relativ leichter Trail. Es gibt zwar vereinzelt steile Anstiege, jedoch verläuft der gut gekennzeichnete Weg immer auf einem gut angelegten Pfad ohne nennenswerte technische Herausforderungen. Der Anspruch liegt hier eher in der Distanz und der Selbstdisziplin, die man aufbringen muss, um sich täglich zu motivieren, weiterzulaufen (und es gibt Tage, da will man einfach nur im Bett liegen bleiben).

Der Weg ist gut markiert und sich zu verlaufen ist an sich schon eine Leistung (was ich natürlich geschafft habe). Theoretisch bräuchte man nicht einmal einen Wanderführer, sondern könnte einfach den rot-weißen Markierungen folgen, die auf Bäume und Felsen gemalt sind. Dennoch sollte man sich einen Guide zulegen, da er nicht nur angibt, ob man den richtigen Markierungen folgt, sondern auch nützliche Informationen über Städte, Herbergen und Öffnungszeiten lokaler Geschäfte liefert. Ich bin mit meinem Reiseführer zur old-school unterwegs gewesen, aber wenn man das zusätzliche Gewicht nicht tragen will, dann gibt es da einige ausgezeichnete Apps mit Offline-GPS-Daten, eine davon ist z.B. AllTrails.

Anreise nach Le-Puy-en-Valey

Die Via Podiensis startet in der malerischen Stadt Le-Puy-en-Valey in der Region Auvergne-Rhône-Alpes. Die Anreise per Zug ist unkompliziert und lege ich jedem ans Herz. Meine Anreise gestaltete sich etwas unkonventioneller: Ich hatte besonders Glück und habe eine Mitfahrgelegenheit von Deutschland nach Lyon mit einem Ehepaar über Blablacar gefunden. Für schlappe 30 Euro bin ich so von NRW bis nach Lyon gereist, interessante Gespräche inklusive. Je nachdem aus welchem Teil der Welt man anreist, ist ein Flug nach Paris oder besser noch Lyon zu empfehlen, um von dort mit dem Zug über St.-Etienne nach Le-Puy weiterzureisen. Das Zugticket ab Lyon kostet ca. 20 Euro für die 2-3 stündige Fahrt.

Als ich abends am Bahnhof von Le-Puy angekommen bin, muss ich zugeben, dass ich beim Aussteigen aus dem Zug echt was Muffensausen hatte. Ich wollte einen ganzen Monat wandern gehen. Alleine. Aufregend! Die Nacht verbrachte ich bei einer französischen Couchsurferin, die so lieb war, mich in ihrer gemütlichen Wohnung aufzunehmen. Hélene und ihr warmer Empfang in Frankreich machten es mir nicht schwer, mich sofort in die Stadt und den Blick aus ihrem Loft (!) -Fenster auf die Kathedrale zu verlieben.

Ein Wort zu Couchsurfing

Die Nacht auf dem Sofa eines Fremden zu verbringen, ist sicherlich nichts für jedermann und funktioniert nicht immer und überall. Ich kann die Plattform, die es Reisenden aus aller Welt ermöglicht, mit Einheimischen in Kontakt zu treten, allerdings nur empfehlen. Während der Tour habe ich eine weitere Nacht bei einem lokalen Couchsurfer verbracht. Laurent trampte sogar zu der Herberge, in der ich morgens übernachtete, so dass wir an dem Tag gemeinsam Richtung Figeac wandern konnten. Die beiden Erlebnisse hätte ich mir nicht entgehen lassen wollen.

An Unterkünften mangelt es in Le-Puy jedenfalls nicht. Neben der Pilgerherberge „Auberge de Jeunesse Centre Pierre Cardinal“, die die Anlaufstelle für viele Wanderer*innen ist, findet man neben weiteren privaten Herbergen auch einige Hotels, die einem eine erholsame Nacht vor dem Start versprechen.  Am Morgen der Wanderung empfehle ich, den Pilgergottesdienst in der Kathedrale mitzunehmen. Selbst wenn man nicht gläubig ist, ist die Messe eine gute Gelegenheit, um die Architektur des Gebäudes zu bestaunen und einen ersten Blick auf seine Mitpilger*innen werfen zu können. Außerdem bekommt man hier nicht nur einen Stempel in seinen Pilgerausweis, sondern auch einen kleinen Talisman mit der Prägung der Gemeinde für seine Wanderung.

Mit der Zeit wird der Weg eher zu einem Flanierpfad. Selbst wenn man nicht trainiert ist, gewöhnt man sich ziemlich schnell daran, jeden Tag viele Stunden zu laufen. Wenn man sich nicht zu sehr über seine Grenzen pusht – und dazu hat auf diesem Weg wirklich keinen Grund – gewöhnt man sich schnell an eine Routine aus frühem Aufstehen, Frühstück von der Dorfbäckerei, Mittagsimbiss in der Sonne und Nachmittagskaffee, bevor man den Wanderweg weiter hin zu seinem Tagesziel stolpert.

Der französischen Lebensart kann man sich wirklich kaum entziehen, selbst wenn man auf Pilgerschaft ist (oder vielleicht grade dann?). Genau so sollte es auch sein! Ich habe es geliebt, durch verschlafene Dörfer mit jahrhundertealten Gebäuden zu wandern und jede Menge Pausen einzulegen, um mit den Einwohnern zu schnacken (oder es zumindest zu versuchen). Außerdem ist es so ein verdammt wohltuendes Gefühl, jedes Mal, wenn man an einem historischen Ort, einer Kirche oder einer Herberge vorbeikommt, einen Stempel in seinem Pilgerausweis zu sammeln während man nebenbei ein Baguette pro Tag wegschnabelt.

Where to sleep ‘n eat

Die Via Podiensis führt täglich durch kleine historische Dörfer, wo man sich mit frischem Baguette, Gebäck und anderen lokalen Leckereien eindecken kann. Hier ist eine Übersicht über alle Städte, durch die der Weg führt. Wasserbrunnen sind in jeder Stadt zugänglich und deutlich als eau potable (Trinkwasser) und eau non-potable (nix gut) gekennzeichnet, so dass man den Wasserfilter zu Hause lassen kann. Wenn man bedenkt, dass man durch sehr abgelegene Ortschaften fährt, wird man immer etwas Bargeld bei sich tragen wollen, da viele kleine Geschäfte keine Kreditkarten akzeptieren. Die Via Podiensis ist sicherlich nicht das Nonplusultra für Menschen, die auf der Suche nach einem einsamen Wildnisabenteuer sind, aber es ist mit Sicherheit ein ganz besonderes kulturelles Erlebnis.

Die große Mehrheit der Wanderer*innen entscheidet sich für die Übernachtung in Pilgerherbergen, so genannten gîtes d’étape, die entweder privat oder kommunal geführt werden. Der Preis schwankt in der Regel zwischen 15-25 Euro pro Nacht inklusive Frühstück (Brot und Marmelade). Die kommunalen Herbergen sind meist etwas billiger, aber auch sehr viel spartanischer ausgestattet. Private Herbergen bieten in der Regel ein Pilgermenü für einen Aufpreis von 10-15 Euro zur Übernachtung an. Die Mahlzeiten werden oft mit regionalen Produkten zubereitet und gemeinsam mit den Gastgeber*innen und anderen Gästen eingenommen. Das Schlafarrangement ist oft ein Glücksspiel: Ich habe alles vom Einzelzimmer bis zum 30-Bett-Zimmer Schlafsaal durch. Oft war der Preis ähnlich. Außerhalb der Saison zu wandern und 1-2 Tage vor meiner Ankunft in der jeweiligen Stadt zu reservieren, hat für mich gut funktioniert. Bei Wanderungen später in der Saison sollte man eventuell etwas Voraus planen.

A bed is a bed is a bed is a bed.

Da ich mit einem schmalen Budget unterwegs war, habe ich mich größtenteils selbst versorgt, was selten ein Problem dargestellt hat. Ich bin den Weg als Vegetarierin gelaufen, daher war selbst kochen gegenüber der Pilgermenüs ohnehin die sichere Alternative. Kommunale Unterkünfte verfügen häufig über eine Gemeinschaftsküche und frische Lebensmittel sind täglich zugänglich. Pro Tipp: Vor dem Einkauf einen Blick in die Küchenregale werfen. Hier sind häufig ein paar zurückgelassene Schätze (Nudeln, was will man mehr) anderer Pilger*innen zu finden. Foodsharing beim Pilgern sozusagen, da macht das Kochen doppelt Spaß!

Weniger is mehr

Gerade weil die Infrastruktur auf der Via Podiensis so gut ist, sind große Rucksäcke und schweres Gepäck einfach Overkill. Lebensmittel und Wasser müssen nur für die tägliche Etappe getragen werden. Aufgrund der günstigen Unterkünfte bleiben Zelt und Isomatte für die Mehrheit der Wanderer ohnehin zu Hause (ein leichter Sommerschlafsack oder ein Inlet ist allerdings zu empfehlen, da die meisten gîtes nur sehr dünne Laken haben). Zusammen mit 1-2 Wechselklamotten sollte die Ausrüstung bequem in einen 30-40 L Rucksack passen.

HA! Auch ich war auf meiner ersten Wanderung mit ‘nem guten alten Deuter Rucksack unterwegs.

Gemeinschaft und Gesellschaft

Dadurch, dass ich meine Wanderung sehr früh in der Saison gestartet habe, waren erst relativ wenig Pilger*innen unterwegs. Die französischen Pilgerwege sind in ihrer Fluktuation nicht mit den spanischen Jakobswegen zu vergleichen. Hier findet man eine deutlich ruhigere Wandererfahrung, ist jedoch trotzdem nie ganz alleine unterwegs. Um mich herum war vielleicht eine kleine Blase von vielleicht 10 – größtenteils französischer – Wander*innen. Ich habe mir ab und zu tatsächlich etwas mehr Gesellschaft gewünscht. Die Zahlen, der Personen die in Le-Puy starten nehmen ab April allerdings von Woche zu Woche zu. Eine Freundin, welche 2 Wochen nach mir, also Mitte April gestartet ist, berichtete mir bereits von deutlich mehr und auch internationaleren Pilger*innen.

Meine erste Begegnung mit trail magic! Wundervolle Menschen haben Getränke und Süßes für hungrige Pilger*innen in ihrem Hof drapiert. Häufig findet man an solchen Orten auch einen Stempel für den Pilgerausweis.

Generell gilt wie bei jeder Auslandsreise: Je mehr man die Landessprache spricht, desto eher kann man tiefgründige Gespräche führen und mit den Einheimischen bonden. Das gilt in Frankreich nach meiner Erfahrung besonders stark. Gerade auf dem Land und in der älteren Generation ist es nicht selbstverständlich, dass jeder perfektes Englisch spricht. Zu Beginn meiner Wanderung habe ich mir ein paar Sätze und Redewendungen z.B. für die Reservierung von Unterkünften notiert und über die App Duolingo ein paar Vokabeln wiederholt.

Ein paar Brocken Französisch genügen bereits, um das Eis zu brechen. Mit meinem eingerosteten Schulfranzösisch bin ich ganz gut durchgekommen, was vor allem der Geduld meiner Gesprächspartner*innen zu verdanken war. All das gesagt – auch komplett ohne Kenntnisse der Landessprache wird man grandiose Erfahrungen sammeln. Die französische Gastfreundschaft ist außerordentlich herzlich und zur Not kann man sich auch mit Händen und Füßen verständigen.

Via Podiensis, yay or nay?

Einer der letzten Morgen auf der Via Podiensis

Auf der Via Podiensis zeigt die Natur ihre ganze Bandbreite von rauen Vulkangebieten über wildromantische Hochebenen bis hin zu weit ausladenden Flusstälern. Besonders die erste Hälfte des Weges war für mich absolut herrlich. Danach wird das Gelände deutlich ebener und eröffnet Ausblicke über weite Blumenfelder. So sehr ich den Wanderteil genossen habe, so sehr fehlte mir die Gesellschaft und das Herumalbern mit anderen Wanderer*innen. Nach mehreren langen Wanderungen nach der Via Podiensis waren die Menschen immer das Soja-Sahnehäubchen, was meine Abenteuer zu etwas ganz Besonderem gemacht hat. Die meisten der Pilger*innen. Um mich herum auf der Via Podiensis waren hauptsächlich (sehr liebenswerte) Franzosen in ihren 60ern und 70ern, mit denen es schwierig war, zu bonden, vor allem aufgrund von Sprachbarrieren. Ich hatte definitiv einige tolle Begegnungen, aber wenn man eine geselligere Wandererfahrung haben möchte, würde ich empfehlen, etwas später in der Saison zu starten.

Würde ich den Weg noch einmal wandern? Im Moment wahrscheinlich nicht. Es gibt einfach zu viele andere Touren auf meiner Liste und momentan habe ich eher Trails in den Augen, die körperlich etwas anspruchsvoller sind. Würde ich die Via Podiensis weiterempfehlen? Verdammt, ja! Die abwechslungsreiche Landschaft, die reiche Geschichte, die französische Lebensart und das leckere Essen – go get it! Als ich mir die Bilder noch mal durchgeschaut habe, kamen wirklich viele schöne Erinnerungen hoch. Als meine erste Solo-Fernwanderung ever wird die Via Podiensis immer einen besonderen Platz in meinem kleinen Herzen einnehmen.